Conservativ und Elite (alte und neue)

CONSERVATIV
5 min readFeb 3, 2021

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Alte Eliten:

Vergangene Schatten

Die alten Eliten des Adels waren schon in der Zeit der Industrialisierung des 19. Jahrhunderts den neu wachsenden Parametern kaum gewachsen. Die aufkommende, darbende Arbeiterklasse konnte zwar durch Sozialreformen (Bismarck) und den nationalistischen Pathos eine Zeit lang gebändigt werden, die gegenseitigen Spannungen im alten Europa nahmen die ruling classes in vollkommener Selbstüberschätzung ihres jeweiligen militärischen Potentials*) hin, die Entladung im 1. Weltkrieg — ohne erkennbares strategisches Ziel der beteiligten Länder** — die schreckliche Folge. Dies alles unbeschadet eines selbst empfundenen moralischen Grundanspruchs, den alle Beteiligten noch für sich geltend machten. Dass hier dann auch Gott eingespannt wurde, nur am Rande (Wilhelm II: Vorwärts mit Gott…, oder auch habsburgerprobt: Für Gott, Kaiser und Vaterland).

Première voiture à etre équipée d’une marche arrière

In Deutschland hat sich unsere Industrie- und Wissenschaftselite — Blütezeit des Bürgertums — ihren vormals guten Ruf aus der Kaiserzeit — da war Deutschland nicht nur in der Wirtschaft und Wissenschaft, sondern auch der Kultur in Europa noch vorne — in den 20er und 30er Jahren verscherzt: das kulturell verzagte (und plötzlich verarmte) ehemalige gehobene Bürgertum, vor dem Militär kuschenden Akademiker und auch den Adel hat der Übergang in die industrialisierte Neuzeit intellektuell in weiten Teilen überfordert, die Niederlage im 1. Weltkrieg, die folgenden Erpressungen von Versailles 1919 mit dem zwangsläufigen ökonomischen Niederbruch hat nicht nur die Elite dieser Zeit emotional (und nachvollziehbar) nicht verarbeiten können.

Die Agieren von SKH Kaiser Wilhelm II in Doorn und seiner zweiten Frau IKH Kaiserin Hermine, geborene Prinzessin Reuß ältere Linie — unbeschadet ihres sozialen Engagements in den 20er Jahren — im wohl naiven Glauben, dass Hitler die Monarchie wieder einführen würde, gab keine positive Orientierung: Von dort kamen jedenfalls keine moralisch-intellektuellen Impulse oder gar Führung, auch nicht vom Kronprinz Wilhelm aus seiner Nordseeverbannung, erst recht auch nicht später. Der politische Einfluss des Kronprinzen — keine intellektuelle Lichtgestalt- war aber zu unbedeutend, als dass ein wesentlicher Nazi Aufstiegsbeitrag abgelesen werden könnte, was auch immer späte Besserwisser der historischen Zunft in der Rückspiegelbetrachtung dazu beizutragen haben. Das Haus Hohenzollern in kollektiver Generationensippenhaft scheint heute als Projektionsfläche verdrängter deutscher Schuld zu dienen.

Daß nach dem 1. Weltkrieg -in direkter Ableitung der Vorgaben des Versailler Vertrags- schreckliche Grenz- und Bürgerkriege in den ehemaligen KuK Ländern und Rußland — gesteigert durch die politischen Wirren und die Verarmung weiter Teile der Bevölkerung — die Lage und Aussichten weiter verunsicherten, diente bei uns zu Lande als Beleg des Niedergangs des alten Europas, ein Vakuum, das die alten Eliten nicht auszufüllen verstand. Einfallstor für atheistische Nazis (und Kommunisten), die es dann auch schafften, mit einfachen Antworten unter völkischer Flagge das entfesselte Kleinbürgertum für ihre finsteren Zwecke zu instrumentalisieren. Aber auch viele “von oben” machten mit, ob nun aus Überzeugung, Opportunismus oder politischer Dummheit. Es folgte die schwarze Zeit der verbrecherischen Nazielite. Daß die deutsche Sehnsucht nach Wiederherstellung von Würde und funktionierender Obrigkeit ausgerechnet von den Nazis erfolgreich befriedigt wurde, ist die zweite Katastrophe des 20. Jahrhunderts für uns Deutsche.

Beeindruckende Akte sittlicher Größe im Engagement der Offiziers Elite und beachtlicher Zivilisten (Kreisauer Kreis) gegen Hitler — wie beim 20.Juli heroisch gezeigt — kamen sehr spät und blieben jenseits eines moralischen Ausrufezeichens (Graf Stauffenberg: “ Es lebe das heilige Deutschland”) leider ohne Erfolg und dann auch ohne nachhaltige Auswirkung. Eine Tragödie, wiewohl gewichtiger, positiver Erinnerungsbeitrag.

Neue Eliten:

Das Ende von Geschichte: Nachdem jeder Werterest durch die schrecklichen Nazi Verbrechen (von den Juden trennt uns Christen nicht Golgatha, sondern Auschwitz, so ein Rabbi) desavouiert wurde, blieb Asche und ein neues moralisches Vakuum: Es wird heute durch vermeintlich politisch Korrektes und mit umso radikalerem Moralin im Betroffenheitsmodus ausgefüllt.

Diese neuen Moraleliten, deren Wertekanon sich in Umweltaktivismus und Beschäftigung mit Minderheiten der Gesellschaft in Gendersprache und Gleichstellungsbeauftragten, Frauenquoten und Nachkorrekturen literarischer Texte, sogar der Bibel, oft doktrinären Ausdruck findet, sind umwogt vom Empörungsduktus des modernen Stimmungsjournalismus. Auch die kirchlichen Eliten scheinen mehr die Moral als Spiritualität im Sinn zu haben, unbeeindruckt von anhaltenden Austrittswellen.

Im Übrigen will die Konsumelite eigentlich nicht in der Lebenserfüllung beim Geldausgeben für Statussymbole, durch Kochkurse, Yoga und Fernreisen gestört werden — hier badet man gern lau (H. Wehner).

Unseren modernen Leistungseliten agieren mit Erfolg und großer Tüchtigkeit im mittelständischen Umfeld. Hier sind auch die Frauen zu erwähnen, dies umso mehr, als dass sie zu Hause oft zusätzliche Pflichten aus dem traditionellen Leistungskanon übernehmen, der mancher Karriere im Wege steht. Bei Großorganisationen funktionieren die Leistungseliten, zeigen aber mitunter eine Neigung zur persönlichen Optimierung und technokratischen Denkansätzen.

An die Stelle von ehedem selbstverständlichen Werten und davon abgeleiteten Usancen im Geschäftsleben (“Üb’ immer Treu und Redlichkeit”/Garnisonskirche Potsdam), regiert jetzt von außen “governance” als investmentrelevante Handlungsmaxime für den shareholder value.

Bei der politischen Elite denkt der Conservative an das gut versorgte Beamtentum und meistens politischen Stillstand. Viele Politiker oft losgelöst von der rauhen Wirklichkeit, immer wieder gering ausgeprägte Bereitschaft zur Übernahme von Verantwortung, der gegenseitige mediale Umgang in der Regel aggressiv belehrend, auch wenn inhaltliche Differenzen zusehends nivellieren: Die Staatsquote steigt, ebenso das Haushaltsdefizit.

Da macht der unbefangene Leistungsoptimismus, frei von Pathos, trotz Verzicht auf decorum der sog. “start up” Scene Freude. Wertorientierung mit Schwerpunkt auf Umweltbelangen und offenen Kommunikationsregeln. Man kleidet sich im Übrigen äußerst informell und lebt in virtuellen IT Räumen in symbiotischer Einheit. In der Hoffnung auf sich perpetuierende Innovationsschübe sucht die Großindustrie den Anschluß: Bei maßgeblichen DAX Unternehmen beschließt der Vorstand, dass im Konzern keine Kravatten mehr getragen werden, naja..

Zu den hochbezahlten Sporteleliten assoziiert der Conservative den Schriftsteller Robert Musil: ein genialer Fussballer reift den Entschluß, ein Mann ohne Eigenschaften zu sein.…

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*Exemplarisch: das französische Militär machte sich 1914 vor allem Gedanken darüber, ob rote Hosen das für die Infantrie geeeignete Kleidungsmittel seien und der taktische Anspruch beschränkte sich auf das schneidige Thema Angriff.

** wie schonmal im Krimkrieg zur Unterstützung der Osmanen auf das stümperhafteste geübt — die Blamage der englischen ruling classes — , in der Folge immerhin Abschaffung erkaufter Offizierspatente in England

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